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Halbzeit in Brasilien · 17. September 2010Christina Zerfass (Abi 2009) berichtet zum zweiten Mal aus Brasilien, wo sie an einem Austausch über den Rotary Club Westerwald teilnimmt. Nach meiner zweiten Woche in Brasilien heisst es nun schon Bergfest feiern (oder besser trauern). Mir gefaellt es hier nach wie vor super, die brasilianische Lebensart hat einfach etwas ansteckend Froehliches und Unbekuemmertes an sich! Dazu kommt, dass ich mich jeden Tag auf´s Neue ueber das tolle Wetter freuen kann, genauso wie ueber ein Glas Orangensaft – der ist naemlich immer frisch gepresst und unglaublich gut! Nachdem ich meinen ersten Bericht geschrieben hatte, fuhren wir nachmittags los in eine vier Stunden entfernte Stadt, um noch einmal ein Basketballspiel meiner Gastschwester Amanda anzusehen.
Dieses Mal waren auch die beruechtigten “Bands” anwesend, das heisst Fans mit Trommeln und anderen Materialien, die auf irgendeine Weise Laerm machen koennen. ...was sie auf beeindruckende und vor allem ohrenbetaeubende Weise taten! Ich kann gar nicht beschreiben, WIE laut es in der Halle war. Umso groesser war meine Dankbarkeit, als ich zufaellig in meiner Jackentasche ein Paar Oropax aus dem Flugzeug fand! Die Stimmung unter den Fans aehnelte der aufgeheizter Krieger, alle trugen Fankleidung, Schminke, Fahnen, besagte “Instrumente” und es wurden sogar Tischfeuerwerke und Rauchkanonen angezuendet! Was die Brasilianer tun, das machen sie eben mit Leib und Seele.
Auch wenn das Team meiner Gastschwester leider das Spiel verlor, bedeutete dies fuer mich in erster Linie, dass sie mit zu uns nach Mirassol kommen wuerde.
Darueber freute ich mich sehr, weil ich dadurch endlich Zeit hatte sie besser kennen zu lernen. Ich verstand mich mit ihr auf Anhieb richtig gut und in den folgenden Tagen unternahmen wir viel zusammen, gingen in die Stadt, kauften uns Modeschmuck (hier sind im Moment Schleifen-Anhaenger in allen Formen und Varianten total in…) und mir ein Kleid in indianische Stil.
Ausserdem gehoerte es natuerlich dazu, dass ich meine ersten Havaianas (zu Deutsch Flip-Flops) erwarb, die hier (das ganze Jahr ueber) Haupt-Fussbekleidung sind!
Wir besuchten auch das (oeffentlich finanzierte) aerztliche Versorgungszentrum, in dem meine Gastmutter immer nachmittags als Kinderaerztin arbeitet. Wie ich schon im letzten Bericht beschrieben habe, herrschen dort doch sehr andere Zustaende als in Deutschland, die Behandlungszimmer sind sehr, sehr einfach und auf dem Gang warten die Patienten fuer alle Fachbereiche dichtgedraengt. Am Wochenende besuchten wir die Farm des Grossvaters, auf der es alle moeglichen Arten von Obst gab (Mangos, Zitronen, Orangen, Kokosnuesse, Bananen, Ananas, Goiaba und einige, deren Namen ich leider immer wieder vergesse…). In Brasilien ist es fuer wohlhabendere Leute durchaus ueblich eine Farm oder mehrere Immobilien zu besitzen. Fuer meine Gastschwester war es daher auch ueberhaupt nichts Besonderes, dass ihre Eltern noch 10 andere Haeuser – darunter ein kleines Kaufhaus – ihr Eigen nennen koennen.
Nach einem Abschlussgrillen (wieder in grosser Runde mit Verwandten) brachen Amanda und ich auf, um nach Campinas zu fahren, wo sie wie ich Medizin studiert. Bei der Verabschiedung von meiner juengeren Gastschwester kullerten auch schon die ersten Traenen, meine Gasteltern werde ich am naechsten Wochenende noch einmal sehen. Campinas liegt knapp 100 km von São Paulo landeinwaerts und gehoert mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern ebenfalls zu den wichtigen Metropolen des Staates. Allerdings sind die wenigsten Hochhaeuser wirklich schoen und die Universitaeten liegen in Brasilien meist ausserhalb, deshalb bin ich doch froh ueber meine (ueberschaubare) Uni-Stadt Muenster! Die medizinische Fakultaet gehoert zu einer Privat-Universitaet, daher ist die Menge der Studenten doch sehr homogen was Herkunft und finanziellen Status betrifft – im Semester meiner Gastschwester gibt es nur einen Farbigen. Die Uni ist eine wahre Oase, man laesst seine Tasche im Unterrichtsraum liegen, um zur Kantine zu gehen oder auf dem Flur andere zu treffen. Und dass, wo man ansonsten immer Angst vor Taschendieben haben muss. Das Gebauede und auch die Unterrichtsart aehneln sehr einer deutschen Schule, alles ist dicht beieinander und der Unterricht findet in Gruppen von circa 50 Studenten oder als Klasse (25 Leute) statt, die Professoren stellen fragen und nehmen Studenten dran, die gerade nicht zuhoeren, die Lautstaerke ist vollkommen akzeptabel (im Gegensatz zur Schule – s. letzter Artikel)… Die Unterrichtsstunden sind fuer mich mal mehr, mal weniger interessant, weil ich die verschiedenen Professoren nur unterschiedlich gut verstehen kann oder es an Fachwissen mangelt (Pharmakologie o. ae.). Ansonsten ist der Stundenplan sehr reich an praktischen Stunden, in denen wir ins Krankenhaus auf die Pediatrie oder, wie gestern, auf die Entbindungsstation gehen. Auf letztere hatte ich mich besonders gefreut und ich wurde nicht enttaeuscht: Ich erlebte zum ersten Mal die Geburt eines Kindes – ein sehr bewegendes Ereignis! Ansonsten klappt es wirklich gut mit meiner Verstaendigung, die Brasilianer sind alle sehr nett und versuchen, mit mir zu kommunizieren, auch wenn sie dafuer zum Teil ihre Redegeschwindigkeit ein wenig drosseln muessen. Auch wenn wir irgendwelche Unternehmungen planen, sind die anderen immer schnell dabei und sagen, sie wuerden mitkommen, laden mich mit zu ihren Geburtstagen ein, usw. Hier noch einmal ein paar einzelne Beobachtungen: Sweet 15: In Brasilien werden Kindergeburtstage gross gefeiert. Es gibt extra Geschaefte, die Dekorationen, grosse Torten und sogar Animation anbieten. Die Kroenung ist der 15. Geburtstag der Maedchen, der zu einer grossen Party fuer Freunde und Verwandten wird. Meine juengere Gastschwester (sie ist bescheiden und wuenscht sich nur eine Europareise) wird am Wochenende auf eine solche Feier gehen, die ingesamt 45.000 Reais (2 Reais = ca. 1 Euro) gekostet hat. Es wird in einer Villa mit Pool gefeiert, 15 Maedchen bekamen seit Monaten Tanzunterricht, um etwas aufzufuehren, Saenger und Barleute duerfen selbstverstaendlich nicht fehlen… Hausmaedchen: Mehrmals in der Woche kamen Hausangestellte, um aufzuraeumen, zu putzen, zu kochen, zu waschen und und und. Sogar meine Gastgeschwister lassen regelmaessig ihre Studentenbuden saubermachen! Schlangestehen: Dauert ewig! Die Brasilianer bedienen in Seelenruhe zum Beispiel die Kinobesucher. Auch die normale Gehgeschwindigkeit liegt deutlich unter unserer… Noch einmal Verkehr: Zebrastreifen gelten nur, wenn eine Ampel daneben steht. Blinken muss man nicht, das waere viel zu viel Arbeit, wo man doch staendig die Spur wechselt. In einem Buch ueber Brasilien las ich: In den Rueckspiegel guckt man nicht, es sei denn zum Schminken. Bis zum naechsten Mal, um abraço! (Christina Zerfass)
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